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Unesco-Dekade

Szenariotechnik

Die Szenariotechnik hat Wurzeln im militärischen und wirtschaftlichen Bereich. Dort, wo sich Zukunft offensichtlich nicht als (lineare) Verlängerung der bisherigen Entwicklungen prognostizieren lässt, sondern wo es ungewisse Faktoren einzukalkulieren gibt und wo folglich mehrere verschiedene Zukünfte denkbar sind, haben Szenarien ihren Sinn. Sie dienen dazu, sich zu orientieren, Strategien zu entwickeln (oder zu überprüfen) und letztlich Entscheidungen vorzubereiten, um die Entwicklung in die gewünschte Richtung zu lenken. Die Studie „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows et. al. 1973 sowie 2007) beinhaltet Szenarien zur Entwicklung auf der Erde, die im Kern auf den fünf Parametern Ressourcen, Bevölkerung, Nahrungsmittelproduktion, industrielle Produktion und Verschmutzung beruhen.

Die Szenariotechnik wird nachfolgend in Anlehnung an Weinbrenner (1988 und 2003) vorgestellt.

Ziele

Die (Lokale) Agenda 21 zielt darauf, Gestaltungsspielräume für die Zukunft zu eröffnen. Wie groß aber ist unsere Gestaltungsfreiheit bzw. wie weit sind künftige Entwicklungen bereits durch die heutige Situation vorherbestimmt? Welche künftigen Entwicklungen sind möglich? Welche Entwicklungen sind wünschenswert und welche Weichen müssen dafür gestellt werden? Solche Fragen will die Szenariotechnik beantworten, „ohne in rein utopische Spekulationen und unrealistische Konzepte abzugleiten.“ (Weinbrenner 1988, S. 136)

Wenn die Szenariotechnik hier im Kontext der BNE vorgestellt wird, dann ist nicht gemeint, dass eine Handvoll Spezialisten Zukunftsszenarien erarbeitet. Ein zweites Ziel besteht vielmehr darin, Bürger einzubeziehen und sie anzuregen, dass sie über ihre Zukunft bzw. die des Gemeinwesens nachdenken – und sie somit letztlich zu einer Mitgestaltung wünschenswerter Zukunft zu gewinnen. Zu Gunsten dieses zweiten Ziels bedient sich die Szenariotechnik einer gegenüber dem wissenschaftlichen Vorbild vereinfachten Methodik.

Als Fallbeispiel beschreibt Weinbrenner (1988) ein zweitägiges verkehrspolitisches Seminar „Szenario – Auto 2010“.

Teilnehmer

Weinbrenner (1998) empfiehlt, 20 bis 30 Personen einzubeziehen. Sie sollten ein gewisses Maß an Vorkenntnissen zu dem anstehenden Thema mitbringen.

Zudem wird eine mit dem Thema und der Methode vertraute Seminarleitung benötigt.

Voraussetzungen

In der Szenariotechnik soll die potenzielle „Vielfalt möglicher und wahrscheinlicher Zukünfte dargestellt“ werden (Weinbrenner 1998, S. 136). Anders als bei der Utopiephase einer Zukunftswerkstatt soll dabei aber nicht frei visioniert werden; die Teilnehmer sollen sich vielmehr in einem empirisch gestützten „Möglichkeitsraum“ (ebd.) bewegen. Will man Szenarien in einem Seminarrahmen ausarbeiten (begrenzte Dauer von z.B. 3-4 Tagen, begrenzte Teilnehmerzahl), so stellt dies sehr hohe Anforderungen an die Vorbereitung. Zu dem ausgewählten Thema müssen

  • potenzielle Einflussbereiche und Einflussfaktoren identifiziert und, dazu passend,
  • vielfältige Materialien (Texte, Daten, Grafiken, Fotos...) gesammelt

werden. Empfehlenswert ist auch, das Informationsproblem dadurch zu lösen, dass ein „Expertenhearing“ einbeschoben wird (ebd., S. 150).

Wie bei den anderen hier vorgestellten Methoden auch, sind eine einschlägige Moderationsausrüstung sowie ausreichend Platz (3-4 Räume mit beweglichem Mobiliar, davon einer mit ausreichender Größe für die Arbeit im Plenum) erforderlich.

Ablauf

Zur Verdeutlichung der Szenario-Technik verwendet Weinbrenner (1998) den Szenario-Trichter. Bei diesem steht der Querschnitt an jeder beliebigen Stelle für die Menge der zum jeweiligen Zeitpunkt möglichen Zukunftssituationen. Je weiter wir uns in die Zukunft bewegen, umso größer wird der Querschnitt, d.h. um so größer ist die Unsicherheit, mit der unsere Voraussichten auf diese Zeit behaftet sind.

 

Der Szenario-Trichter und die drei Grundtypen des Szenarios (Weinbrenner 1998, S. 138)

 

Zur Entwicklung dieser Szenarien sind folgende Schritte erforderlich:

Zunächst ist das Problemfeld festzulegen – es sollte sich um ein aktuelles, gesellschaftlich relevantes und auch kontroverses Thema handeln – und es ist sachlich, räumlich sowie zeitlich sinnvoll einzugrenzen. Es wird nach beobachtbaren Erscheinungen, betroffenen Personen(gruppen), bereits bekannten Fakten und Zusammenhängen gefragt. Weinbrenner (1998, S. 141) führt eine Problemanalyse für das Thema „Auto“ an.

In einem nächsten Schritt werden – auf einem recht allgemeinen Niveau – wesentliche Einflussbereiche identifiziert, also Bedingungsgrößen (Ursachen, Wirkungen), die für das Thema wesentlich sind. Für das Thema „Auto“ wurden z.B. Gesellschaft, Politik, Mensch, Umwelt, Technik und Wirtschaft betrachtet (ebd., S. 143).

Jeder Einflussbereich umfasst mehrere Einflussfaktoren, die in einem nächsten Schritt identifiziert werden. Für den Bereich Technik wurden z.B. die Einflussfaktoren „Entwicklung von neuen Motoren, Abgastechnik“; „Entwicklung und Einführung von Verkehrsleitsystemen“ sowie „Invention und Innovation alternativer Verkehrsträger“ festgelegt (ebd).

Dann werden die Einflussbereiche und -faktoren „hinsichtlich ihrer quantitativen und qualitativen Gehalte bewertet“; es werden sogenannte Deskriptoren (Kenngrößen, welche Zustände bzw. Entwicklungen beschreiben) aufgestellt und, soweit möglich, operationalisiert. Für das Beispiel Auto kann z.B. der Einflussfaktor Emissionen durch den Deskriptor CO2-Ausstoß aus Kraftfahrzeugabgasen beschrieben werden. (ebd.)

Dann wird versucht, die Wechselnwirkungen der Einflussbereiche und -faktoren untereinander zu bewerten. Dazu kann eine Einflussmatrix aufgestellt werden. So könnte für den Einflussbereich Gesellschaft und Politik z.B. abgeschätzt werden, dass ein kritisches Verhalten der Bevölkerung wie auch der Einfluss der Straßenverkehrslobby einen großen Einfluss auf eine (umweltfreundliche) Politik haben und dass die Politik wiederum einen mittleren Einfluss auf das Verhalten der Bevölkerung sowie der Straßenverkehrslobby ausübt. (ebd., S. 145) Lernende, welche die Szenariotechnik als pädagogische Methode anwenden, kommen hierbei, wie hoffentlich nachvollziehbar ist, mit einer wesentlich gröberen Betrachtung der realen Verhältnisse aus als z.B. Spezialisten, die Szenarien für Politik, Wirtschaft oder Militär aufstellen.

In einer Trendprojektion werden „alle Deskriptoren in die Zukunft projiziert und in zwei Schritten geprüft“. Auf der empirischen Ebene wird gefragt, ob der Deskriptor steigen oder fallen wird. Auf der normativen Ebene wird gefragt, ob diese Entwicklung wünschenswert ist oder nicht. Hiermit „wird zum ersten Mal der Szenariotrichter aufgemacht“, d.h. denkbare positive und negative Entwicklungen werden sichtbar. (Weinbrenner 2003, S. 268)

Nun erst kommt die Methode zu ihrem Höhepunkt – zur Aufstellung der Szenarien. Dazu werden Kleingruppen gebildet. Sie können z.B. ein positives und ein negatives Extremszenario sowie ein Trendszenario aufstellen; Weinbrenner (1998, S.146) zitiert hier die Beispiele Grünberg anno 2012, Cancerland anno 2010 und Mittelwegshausen anno 2011. In seiner Publikation von 2003 schlägt Weinbrenner hingegen vor, auf das Trendszenario zu verzichten und stattdessen zwei positive und zwei negative Extremszenarien zu erarbeiten. Die Szenarien können dann als gelungen angesehen werden, wenn alle ausgearbeiteten Szenarien die gleiche Eintrittswahrscheinlichkeit haben und wenn sie folgende Kriterien erfüllen:

  • Vollständigkeit (alle Deskriptoren sind berücksichtigt)
  • Widerspruchsfreiheit (die Aussagen sind logisch und empirisch widerspruchsfrei)
  • Realitätsgehalt (die Aussagen sind möglich – wenn auch nicht sehr wahrscheinlich)
  • Wahrscheinlichkeit (die Aussagen sind durch empirische Daten, durch Expertenwissen gestützt)
  • Qualität der Begründung (die Szenarien sind theoretisch und faktisch begründet)
  • Anschaulichkeit (die Szenarien vermitteln Bilder möglicher Zukünfte). (Weinbrenner 2003, S.268)

Abschließend erarbeiten die Teilnehmer Handlungsempfehlungen, die dazu dienen sollen, die Entwicklung in Richtung der positiven Szenarien zu steuern.

Potenzial für die Partizipation

Die Szenariotechnik bietet die Möglichkeit, Bürgerinnen und Bürgern zu vermitteln, dass die Zukunft ihrer Kommune in gewissen Grenzen offen ist und dass sich ein Engagement für eine wünschenswerte Zukunft lohnen kann.

Gleichwohl hat die Methode in der Lokalen Agenda 21 offenbar wenig Verbreitung gefunden; in der von Ley/Weitz (2003) herausgegebenen Methodensammlung wird neben dem Praxisbeispiel „Auto 2010“ (welches eine rein pädagogische Veranstaltung war und nicht der Lokalen Agenda 21 zuzurechnen ist) noch auf eine Szenariokonferenz in Görlitz/Zgorzelec verwiesen – hier aber kam, wie eine Dokumentation des Projektbüro Stadt 2030 Görlitz (o.J.) verdeutlicht – die Methodik nur ansatzweise zur Anwendung.

Potenzial für die BNE

Auch für die BNE könnte die Szenariotechnik interessant sein, weil sie wissenschaftliche Verfahren der Erkenntnisgewinnung über Zukünfte transparent macht und Lernende dazu motivieren kann, sich an dieser Erkenntnisgewinnung zu beteiligen. Allerdings hat die Methode auch hier bislang keine breite Anwendung gefunden. Die Ursache dafür liegt vermutlich in dem hohen Aufwand zur Vorbereitung und Durchführung. Immerhin bietet das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (o.J.) in seinem Online-Service Materialien zum Klimaschutz für Schulen an, die sich der Technik bedienen.

Wenn in Bildungsprozessen mögliche Zukünfte antizipiert werden sollen, können als Alternative zur Szenariotechnik z.B. Simulationen eingesetzt werden. Hierbei werden z.B. natürliche, technische oder gesellschaftliche Systeme zum Zwecke des Erkenntnisgewinns in (stark) vereinfachter Form nachgestellt; Einflussfaktoren und Deskriptoren werden in das künstliche / simulierte System einbezogen. Derartige Simulationen werden von Fachleuten vorbereitet und können dann mit einem geringeren Aufwand in Bildungsprozessen eingesetzt werden. Die Lernenden bekommen somit die Möglichkeit, auf das (simulierte) System einzuwirken – ohne sich die Verantwortung aufzubürden, die eine Einwirkung auf die realen Systeme mit sich bringen würde! – und zu beobachten, wie dieses reagiert. Sie können dann Rückschlüsse auf die Funktionsweise der realen Systeme treffen. Der Nachteil von Simulationen in der BNE besteht allerdings darin, dass nur wenige geeignete Systeme auf dem Markt sind und man somit thematisch stark eingegrenzt ist.

Eine andere Alternative und zugleich eine spezielle Form der Simulation sind Planspiele. Lernende simulieren hier spielerisch konfliktreiche Praxissituationen und versuchen modellhaft Lösungen zu erarbeiten. Da hier nicht der Anspruch besteht, die ganze Bandbreite möglicher Zukünfte empirisch abgesichert mit einzubeziehen, ist der Aufwand für die Vorbereitung und Durchführung deutlich geringer als bei der Szenariotechnik. Hier ist man in der Auswahl der Themen wesentlich freier als bei den oben angeführten Simulationen, allerdings erkauft man sich diese Freiheit mit dem höheren Aufwand, den die Entwicklung des Spiels, die Beschreibung der Rollen und vor allem die Recherche nach passendem Material erfordern. Humm (2003) und Reich (2003ff) haben die Methode erhellend beschrieben.

 

Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand 2006-2014 in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock; dem heutigen Fernstudiengang Bildung und Nachhaltigkeit.