Gliederung dieser Seite |
Das Leitbild der Nachhaltigkeit im heute üblichen Sinne wurde 1987 von der UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung in dem Bericht „Our Common Future“ formuliert.
Brundtland-Kommission
Basierend auf der UN-Resolution 38/161 vom 19.12.1983, hatten die Vereinten Nationen eine Kommission gegründet, die einen Bericht zu den globalen Problemen und Strategieempfehlungen für eine stabile Entwicklung erarbeiten sollte. Die Kommission unter Leitung der ehemaligen norwegischen Premierministerin und Umweltministerin Gro Harlem Brundtland nahm später die Bezeichnung „Weltkommission für Umwelt und Entwicklung“ an, bzw. sie wird auch als „Brundtland-Kommission“ bezeichnet.
Der Bericht thematisiert Herausforderungen wie das Bevölkerungswachstum einzugrenzen, die Ernährung der Weltbevölkerung sicherzustellen, die Artenvielfalt und die Ökosysteme zu erhalten oder eine ökologisch vertretbare und gerechte Energieversorgung zu gewährleisten.
Exkurs: Die Globale HerausforderungTrotz ermutigender Fortschritte der Menschheit – so dem Rückgang der Säuglingssterblichkeit, der Zunahme der Lebenserwartung der Menschen und einer im globalen Maßstab steigenden Nahrungsmittelproduktion – sieht die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung aus der Perspektive des Jahres 1987 Entwicklungen, die für die Menschen und den Planeten Erde bedrohlich sind: Es gibt in absoluten Zahlen mehr hungrige Menschen als je zuvor, bei weiterhin steigender Tendenz. Die Zahl der Analphabeten, die Zahl der Menschen ohne sauberes Wasser und ordentliche Wohnung und die Zahl der Menschen, denen es an Brennholz mangelt, steigen (Vereinte Nationen 1990, S. 20). Gleichzeitig steigt die Industrieproduktion, sie ist in den vergangenen 100 Jahren „um mehr als das 50fache gestiegen; davon entfallen vier Fünftel auf die Zeit nach 1950“ (ebd., S. 22). Die Kluft zwischen reichen und armen Ländern wächst. Während Menschen hungern, veröden jedes Jahr 6 Millionen Hektar an dringend benötigter produktiver Landfläche. Jährlich werden 11 Millionen Hektar Wald zerstört, meist entsteht nur minderwertiges Ackerland daraus, das die Bauern, die es bewirtschaften, nicht ernähren kann (ebd., S.20). Die wichtigsten Fischarten, die 95% des Weltfischfangs sichern, sind durch Überfischen bedroht (ebd., S. 260). Die Emissionen z.B. an Schwefeldioxid und Kohlendioxid aus der Verbrennung von Kohle, Öl und Gas steigen; der (schwefel-)saure Regen zerstört vor allem in Europa Wälder, Seen und das architektonische Erbe; ein globaler Klimawandel vor allem in Folge der Kohlendioxid-Emissionen wird befürchtet – er hätte wiederum Auswirkungen z.B. auf den Verlauf der Klimazonen und damit auch auf die Situation der landwirtschaftlichen Anbauflächen. Innerhalb der 900 Tage, in denen die Kommission arbeitete (Oktober 1984 – April 1987) erreichte in Afrika eine durch die Dürre ausgelöste Umwelt- und Entwicklungskrise mit einer Million Todesopfern ihren Höhepunkt; ein Unfall in einer Pestizidfabrik im indischen Bhopal tötete über 2000 Menschen und schädigte mehr als 200.000 schwer; in Tschernobyl explodierte ein Kernreaktor, der nukleare Fallout breitete sich über weite Teile Europas aus; zudem starben geschätzte 60 Millionen Menschen an Durchfallerkrankungen, die durch verschmutztes Trinkwasser bzw. Unterernährung hervorgerufen wurden (ebd., S.22). Es wird immer offensichtlicher, dass Fragen der (sozialen und) wirtschaftlichen Entwicklung nicht von Umweltfragen getrennt werden können. „Armut ist eine Hauptursache und eine Hauptfolge globaler Umweltprobleme. Es ist daher müßig, Umweltprobleme ohne eine umfassendere Perspektive meistern zu wollen, die auch die Ursachen für die Armut in der Welt und die internationale Ungleichheit einbezieht.“ (ebd., S. 21)
|
Nachhaltigkeit als Leitbild
Auch angesichts schwerwiegender Probleme vertritt die Kommission die Überzeugung, dass die Menschen eine Zukunft aufbauen können, die glücklicher, gerechter und sicherer ist. Dafür ist allerdings entschiedenes politisches Handeln notwendig. Dafür entwirft die Kommission das Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung, das heißt „eine Entwicklung, in der die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne dabei künftigen Generationen die Möglichkeit zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu nehmen“ (Vereinte Nationen 1990, S. 26; die in der Bundesrepublik Deutschland (West) erschienene Ausgabe (Hauff 1987) hat eine geringfügig abweichende Formulierung).
Es ist ein Verdienst des Brundtland-Berichtes, dass erstmals eine größere öffentliche Aufmerksamkeit für die Nachhaltigkeitsidee gewonnen werden konnte und dass konkrete Maßnahmen aufgezeigt wurden. Damit gehört dieser Bericht mit zu den Ereignissen, welche die Konferenz von Rio initiiert haben.
Die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (UNCED) fand im Juni 1992 in Rio de Janeiro statt. Auf der Konferenz von Rio wurden die Deklaration von Rio und die Agenda 21 (Bundesumweltministerium 1992) verabschiedet. Zudem wurden die Klimaschutzkonvention und die Artenschutzkonvention unterzeichnet und die Walddeklaration verabschiedet, welche hier nicht weiter behandelt werden sollen.
Agenda 21
Mit der Deklaration von Rio und der Agenda 21 erklärte die Konferenz eine nachhaltige zukunftsfähige Entwicklung („sustainable development") zur zentralen Zukunftsaufgabe unserer Gesellschaften für das 21. Jahrhundert. Entsprechende Entwicklungsprozesse sollten auf globaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene angeschoben werden. Es wurden Maßnahmen in der Umwelt-, Entwicklungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik gefordert. Dieser Beschluss wurde von 178 Staaten, darunter Deutschland, unterzeichnet.
Die Agenda 21 ist in vier Hauptabschnitte und 40 Kapitel eingeteilt. Die Hauptabschnitte befassen sich mit
Das für die BNE wichtigste Kapitel ist Kap. 36 „Förderung der Schulbildung, des öffentlichen Bewusstseins und der beruflichen Aus- und Fortbildung“. Daneben sind für die BNE u.a. Kap. 25 „Kinder und Jugendliche und nachhaltige Entwicklung“ sowie 28 „Initiativen der Kommunen zur Unterstützung der Agenda 21“ relevant.
Die einzelnen Kapitel sind im Wesentlichen gleich strukturiert: Die Handlungsgrundlagen werden skizziert, Ziele werden benannt, Maßnahmen aufgezeigt und notwendige Instrumente zur Umsetzung angegeben.
1993 wurde, wie in der Agenda 21 vorgeschlagen, die UN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (Commission for Sustainable Development / CSD) gegründet. Sie ist ein Unterorgan des UN-Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC). Ihre Mitglieder werden vom ECOSOC gewählt. 53 Staaten, darunter auch die Bundesrepublik Deutschland, sind Mitglied. Sie werden in der Regel durch Umweltminister vertreten. Daneben sind NGOs und diverse Teilnehmer mit Beobachterstatus vertreten. Der Sitz der CSD ist New York. Die CSD soll jährlich die Umsetzung der Agenda 21 bilanzieren und die weitere Entwicklung abstecken. Auf der 6. jährlichen Sitzung 1998 wurden Beschlüsse zu Bildung und Kommunikation gefasst, u.a. wurden die Regierungen aufgefordert, auf allen Ebenen des Bildungssystems Ziele einer nachhaltigen Entwicklung in die Lehr- und Lernprogramme zu integrieren (Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002, S. 5-6).
Am 24.-27. Mai 1994 fand im dänischen Aalborg die Europäische Konferenz über zukunftsbeständige Städte und Gemeinden statt (ICLEI 1994). Sie wurde von der Stadt Alborg und der Europäischen Kommission veranstaltet und vom Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen ausgerichtet. Die Teilnehmer verabschiedeten die Charta der Europäischen Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Zukunftsbeständigkeit (kurz: Charta von Aalborg, im Original: Charter of European Cities & Towns Towards Sustainability). Die Städte und Gemeinden bekennen sich hier zu ihrer Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung, die u.a. daraus resultiert, dass ca. 80% der europäischen Bevölkerung in städtischen Gebieten leben und dass die kommunale Ebene die bevölkerungsnäheste Ebene und der Rahmen ist, wo Umweltprobleme wahrgenommen werden. Auch gemäß Kapitel 28 der Agenda 21 (Bundesumweltministerium 1992, S. 231-232) gehören die Kommunen zu den wichtigsten Akteuren für eine nachhaltige Entwicklung.
Nachhaltige Entwicklung wird in der Charta von Aalborg als ein „kreativer, lokaler, gleichgewichtssuchender Prozess“ verstanden. Es werden kommunale Aktionsfelder der nachhaltigen Entwicklung definiert wie z.B. die soziale Gerechtigkeit, die Strukturen der Flächennutzung, die innerstädtische Mobilität, die Verantwortung für das Weltklima und die Rolle der Bürger.
Urbane Lebensqualität (hier: Annecy/Frankreich):
Wie kann sie
erhalten werden?
Initiierung Lokaler Agenda 21 Prozesse
Bedeutung hat die Charta von Aalborg vor allem deshalb erlangt, weil sie Ausgangspunkt für eine Kampagne europäischer zukunftsbeständiger Städte und Gemeinden war. In den Folgejahren haben europaweit viele Kommunen – nach intensiver öffentlicher Diskussion – die Charta unterzeichnet und damit formell den Prozess zur Aufstellung einer eigenen Lokalen Agenda 21 begonnen.
Exkurs: Welthandel, WTO und NachhaltigkeitWir würden diesen Streifzug durch einige Stationen des internationalen Nachhaltigkeitsdiskurses mit einem blinden Auge absolvieren, wenn wir nicht-nachhaltige Entwicklungen und deren Triebkräfte außen vor lassen würden. Mit Rückgriff auf Cosbey (2006) soll daher wenigstens kurz die Rolle der WTO gewürdigt werden. Nur drei Jahre nach der Konferenz von Rio – im Jahr 1995 – wurde die Welthandelsorganisation WTO gegründet, aber schon seit 1947 hatten sich (zunächst 27) Staaten im Rahmen von GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) dem Ziel verschrieben, Zollschranken abzubauen und für alle Mitgliedsstaaten akzeptable Handelsregeln zu schaffen. Seit Beginn der 90er Jahre rückte (bei GATT bzw. WTO) die Liberalisierung des Welthandels – also der möglichst weitgehende Abbau jeglicher Handelshemmnisse – in den Mittelpunkt. Nun manifestiert sich Umweltpolitik oftmals gerade in Regulierungsmaßnahmen wie z.B. Grenzwerten, Ge- oder Verboten; Konflikte mit der Handelsliberalisierung waren daher vorprogrammiert. Bereits 1991 kam es zu einem solchen Konflikt: Aus Gründen des Delphinschutzes hatten die USA die Einfuhr von Thunfisch aus Ländern verboten, bei denen Fangpraktiken üblich waren, die zu einem hohen Beifang an Delphinen führten, bzw. – stärker noch – „die nicht nachweisen konnten, dass ihre Fangmethoden den US-Standards des Delphinschutzes entsprachen“ (ebd., S. 239). Dagegen beschwerte sich Mexiko – und bekam vom Schiedsgericht der GATT Recht. Auch wenn das Urteil letztlich nicht wirksam wurde, zeigte sich doch die Problematik: Die rechtsverbindlichen Verträge, welche die Staaten im Zuge der Handelsliberalisierung eingehen, können dazu führen, dass Anliegen des Umweltschutzes oder der nicht rechtsverbindlichen Agenda 21 als illegal erklärt werden. Cosbey (ebd., S. 245) verweist auf weitere Umweltmaßnahmen, die in der WTO „als potenzielle Handelshemmnisse angeführt wurden“. So hatte z.B. Japan gegen die EU-Chemikalienverordnung REACH Beschwerde geführt, nach welcher neue und bestehende Chemikalien registriert werden müssen. Argentinien hatte sich gegen „Mindeststandards für Wärmeeffizienz in importierten Wasserkochern und obligatorische Informationen über Effizienzstufen“ gewehrt. Anhand von Madagaskar beschreibt Cosbey (ebd, S. 251-253), dass arme Länder des Südens aus strukturellen Gründen oft gar nicht in der Lage sind, Vorteile aus der Liberalisierung des Handels zu ziehen. Immerhin wurde inzwischen eine Verpflichtung auf das Ziel der nachhaltigen Entwicklung in die Präambel der WTO-Erklärung aufgenommen. In anderen zwischenstaatlichen Handelsverträgen ist nicht einmal das der Fall. |
Im September 2000 verabschiedeten 189 UN-Mitgliedsstaaten auf ihrem bis dahin größten Gipfeltreffen die Milleniumserklärung (Vereinte Nationen 2000). Diese Agenda für die internationale Politik legte vier Handlungsfelder fest, die für eine globale Zukunftssicherung unerlässlich sind:
Nachfolgend erstellte eine internationale Arbeitsgruppe (u.a. Vertreter der UN, der Weltbank, der OECD) einen Zielkatalog, den der UN Generalsekretär Kofi Annan im September 2001 als "Road Map for the Implementation of the Millennium Declaration" der UN-Generalversammlung vorlegte. Diese sogenannten Milleniumsziele (MDG, Millenium Development Goals) bauen auf international vereinbarten Entwicklungszielen der großen UN-Konferenzen der 90er Jahre sowie auf der OECD/DAC-Resolution „Shaping the 21st Century“ von 1996 auf (van de Sand 2005). Die unterzeichnenden Länder stellten sich die Ziele, bis 2015
MDG Nr. 2: Allgemeine Primarschulbildung für alle
(hier: 4. Grundschule Liaoyang/VR China)
Diese Ziele werden durch Zielvorgaben untersetzt, z.B. zu Ziel 1: „bis zum Jahr 2015 den Anteil der Weltbevölkerung, dessen Einkommen weniger als 1 Dollar pro Tag beträgt, und den Anteil der Menschen, die Hunger leiden, zu halbieren, sowie bis zu demselben Jahr den Anteil der Menschen, die hygienisches Trinkwasser nicht erreichen oder es sich nicht leisten können, zu halbieren“ (Vereinte Nationen 2000, S. 12-13)
Mit den MDGs werden bereits in der Agenda 21 bzw. anderen UN-Verlautbarungen beschriebene Aufgaben bekräftigt, allerdings stellen die MDGs diesen Dokumenten gegenüber eine Einengung und Abschwächung dar:
Auf der (englischsprachigen) Website www.mdgmonitor.org/ wird die Umsetzung der MDGs verfolgt.
Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand 2006-2014 in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock; dem heutigen Fernstudiengang Bildung und Nachhaltigkeit.