Nachhaltig ist eine Entwicklung, „die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ So formulierte es die Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987 im sogenannten Brundtland-Bericht.1
Diese Definition ist damit deutlich älter als die SchülerInnen, die heute zur Schule gehen. Was hat sie mit der Aufgabe zu tun, diese junge Generation auf ihr zukünftiges Leben vorzubereiten? Inwieweit hat sie dazu beigetragen, die Chancen künftiger Generationen zu verbessern? Ist Nachhaltigkeit ein relevanter Kontext für Bildung – oder gar noch mehr?
Fragen der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung können nicht von Umweltfragen getrennt werden. So kann Armut zu umweltschädigenden Landnutzungsformen wie der Brandrodung oder zu ineffizienten Bewässerungssystemen führen. Andererseits verändert der Klimawandel den Wasserhaushalt der Erde, was besonders in einigen Regionen Afrikas zu Dürren und Missernten führt und Armut und Hunger verstärkt. Umgekehrt gibt es gerade in Afrika viele Beispiele dafür, wie durch angepasste landwirtschaftliche Methoden die Fruchtbarkeit des Bodens gefördert, die Erträge gesteigert und der Hunger überwunden werden können.
Stolperstein „Das kohlenstoffbasierte Weltwirtschaftsmodell ist [...] ein normativ unhaltbarer Zustand, denn es gefährdet die Stabilität des Klimasystems und damit die Existenzgrundlagen künftiger Generationen. Die Transformation zur Klimaverträglichkeit ist daher moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit.” (WBGU)2 |
Als Bürger eines wohlhabenden Industrielandes sind wir ein Teil dieser Problemlagen – aber zugleich können wir auch Teil der Lösung sein. Unser Konsum- und Lebensstil gilt weltweit Millionen aufstrebender Menschen als Vorbild – und es liegt an uns, wie dieses Vorbild aussieht. Mit alltäglichen Kaufentscheidungen wie dem Kauf einer Tüte Kaffee steuern wir globale Geld- und Warenbewegungen mit und haben es in der Hand, faire oder ausbeuterische, ökologische oder zerstörerische Produktions- und Handelsstrukturen zu stärken. Die Politik der von uns gewählten Regierung (u.a. Exportbürgschaften) entscheidet mit darüber, ob Deutschland Waffen und Atomkraftwerke oder Windkraftanlagen und vorbildliche Umweltgesetze exportiert. – Diese Vernetztheit („Retinität“) zu erkennen und darin verantwortungsvoll zu handeln, ist eine der zentralen Herausforderungen auf einer nachhaltigen Entwicklung.
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WGBU) hat ein "Leitplankenmodell" der Nachhaltigkeit entwickelt. Leitplanken sind Grenzen, die nicht überschritten werden sollten, weil anderenfalls nicht tolerierbare und oftmals auch nicht umkehrbare Folgen drohen. Die Erwärmung der Erdatmosphäre um 1,5-2°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau stellt eine solche Leitplanke dar - denn jenseits davon sind die Folgen des Klimawandels für den Menschen kaum noch beherrschbar, und es werden "Kipp-Punkte" im Klimasystem der Erde erreicht, die eine künftige Abkühlung auch bei sinkenden CO2-Emission weitgehend ausschließen - von "nachhaltiger Entwicklung kann dann keine Rede mehr sein.3Die menschliche Gesellschaft bewegt sich innerhalb der natürlichen Systeme; die Wirtschaft wiederum ist ein Teil-System innerhalb der Gesellschaft. Auch für diese Systeme gelten Leitplanken - so ist z.B. eine ausufernde Staatsverschuldung mit einer nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar, weil sie künftigen Generationen Handlungsspielräume nimmt.
Auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro (1992) wurde der Gedanke der Nachhaltigkeit konkretisiert und weltweit bekannggemacht. Mit der Deklaration von Rio und der Agenda 21 erklärte die Konferenz eine nachhaltige zukunftsfähige Entwicklung („sustainable development") zur zentralen Zukunftsaufgabe unserer Gesellschaften für das 21. Jahrhundert. Entsprechende Entwicklungsprozesse sollten auf globaler, nationaler, regionaler und lokaler Ebene angeschoben werden. Es wurden Maßnahmen in der Umwelt-, Entwicklungs-, Sozial- und Wirtschaftspolitik gefordert. Dieser Beschluss wurde von 178 Staaten, darunter Deutschland, unterzeichnet.
Die Milleniumsziele (MDGs) Die unterzeichnenden Länder verpflichteten sich, bis 2015
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Im Jahr 2000 verabschiedeten 189 UN-Mitgliedsstaaten die Milleniumserklärung Sie legten vier Handlungsfelder fest, die für eine globale Zukunftssicherung unerlässlich sind:
Darauf aufbauend, wurden acht sogenannte Milleniumsziele (MDG, Millenium Development Goals) aufgestellt (siehe Kasten).
Damit konnten einige erste wichtige Entwicklungserfolge erzielt werden.
MDG 1:
So konnten etwa 700 Millionen Menschen weltweit aus extremer Armut befreit werden, vor allem in Ost- und Südost-Asien. Dennoch sind noch immer ca. 22% aller Menschen weltweit extrem arm, und vor allem in weiten Teilen Afrikas sowie in Südasien wird das voraussichtich auch weiterhin so bleiben. - MDG 2: Deutlich mehr Kinder als zuvor konnten zumindest eine Grundschule besuchen und so u.a. Lesen und Schreiben lernen. Allerdings wächst die Zahl der Kinder weltweit, und es sind enorme Anstrengungen nötig, um künftig allen Kindern eine Grundschulbildung zu ermöglichen. - MDG 7: Im Umweltschutz ist die Entwicklung überwiegend besorgniserregend. So steigen die Treibhausgasemissionen weiter an. Das Artensterben, die Abholzung der Wälder und die Überfischung der Meere gehen weiter. Als Erfolg kann u.a. verbucht werden, dass die Nutzung von Stoffen, welche die Ozonschicht schädigen, weitestgehend überwunden ist und dass weltweit immer mehr Naturschutzgebiete eingerichtet werden.12
Da auch im Jahr 2015 die Entwicklung der Menschheit nicht als nachhaltig bezeichnet werden kann, haben die Vereinten Nationen neue Ziele für eine nachhaltige Entwicklung aufgestellt, die weltweit im Zeitraum 2016-2030 erreicht werden sollen. Sie werden auch SGDs (Sustainable Development Goals) genannt.
Agenda 2030 - 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs)
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Die SDGs sind wesentlich ambitionierter und differenzierter, als es die MDGs waren.
So war z.B. MDG 2 auf die Grundschulbildung beschränkt. Die Folge war in zahlreichen Ländern des Südens eine Konzentration finanzieller Mittel und politischer Aufmerksamkeit auf den Grundschulsektor, während die weiterführenden Schulen und die Aus- und Fortbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft vernachlässigt wurden. Die Regierungen haben aus den Unzulänglichkeiten von MDG 2 die Konsequenzen gezogen und der 2030-Agenda ein wesentlich umfassenderes Konzept von Bildung zugrunde gelegt. Es umfasst alle Phasen von der frühkindlichen Erziehung bis zur Erwachsenenbildung und berücksichtigt auch die Qualität der Bildung. SDG 4 heißt nun: Inklusive, gleichberechtigte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten lebenslangen Lernens für alle fördern. Das heißt für uns z.B., einen kritischen Blick auf die lange bekannte Tatsache zu werfen, dass Bildungserfolg in unserem Land stärker als in den meisten anderen OECD-Ländern von der sozialen Herkunft abhängt. - Bildung, das ist heute Konsens, ist eine zentrale Voraussetzung für die Überwindung von Armut, für eine menschenwürdige Beschäftigung und ein selbstbestimmtes Leben. Daher ist es konsequent, dass die Staatengemeinschaft im September 2015 einmütig beschloss: Ausnahmslos alle Kinder der Welt sollen bis 2030 eine hervorragende Bildung erhalten!
Die SDGs sind aber auch widersprüchlich, denn ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum (SDG 8) ist mit einem langfristigen Schutz und Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen nicht vereinbar.
Könnern die jetzigen Entwicklungsziele eine ähnliche Dynamik wie die MDGs forcieren? Das hängt davon ab, wie sehr Regierungen und Bürger die neuen UN-Ziele als Ansporn auffassen. Einiges ist schon erreicht: z.B. Bundes- und Landesregierung haben die Unterstützung der SDGs beschlossen. Der Rat der Stadt Düsseldorf hat - auf Basis eines fraktionsübergreifenden Antrags - Ende 2016 beschlossen, die SDGs zu unterstützen. Viele Initiativen und Organisationen engagieren sich schon, informieren die Öffentlichkeit und machen mit Verweis auf die SDGs Druck.
Bildung ist genauso auf Zukunft ausgerichtet wir die Nachhaltigkeitsidee!
Stolperstein Bildung für nachhaltige Entwicklung ist angesichts globaler Entwicklungen wie Klimawandel, Hunger, Krieg und Flucht eine Zumutung für Bildungsakteure. Bildung kann und will kein Instrument der Politik – und erst recht kein Korrektiv für eine verfehlte Politik – sein. Daher ist klar zu unterscheiden zwischen der Notwendigkeit, eine nachhaltige Entwicklung auf den Weg zu bringen – was eine originär politische Aufgabe für die Generation der heute Erwachsenen ist – und der Ausbildung der Jugend, die in eine zunehmend komplexere und globalisierte Welt hineinwächst und diese mit gestalten muss – was eine pädagogische Ausgabe ist. |
„Bildung / Erziehung, öffentliche Bewusstseinsbildung und berufliche Ausbildung stehen mit fast allen Programmbereichen der Agenda 21 in Verbindung."5
Bildungsaufgaben werden in fast allen Kapiteln der Agenda 21 explizit als Umsetzungsmöglichkeiten angesprochen. So wird im Kapitel 9 „Schutz der Erdatmosphäre“ u.a. vorgeschlagen, Maßnahmen zur Aufklärung und Bewusstseinsförderung „zum Thema sparsame Energienutzung und umweltverträgliche Energieträger“ zu fördern.6
Das Kapitel 36 der Agenda 21 bündelt die Querschnittsaufgabe Bildung noch einmal und benennt diverse konkrete Aufgaben.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) kann demnach z.B. verstanden werden als
Die Rolle der Bildung für eine nachhaltige Entwicklung wurde auch in den MDGs bzw. in den SDGs bekräftigt (siehe oben). SDG Nr. 4 lautet, bis 2030 für alle Menschen Inklusive, gerechte und hochwertige Bildung gewährleisten und Möglichkeiten des lebenslangen Lernens für alle fördern.13
In der Incheon-Erklärung 14 und im Weltaktionsprogramm zur BNE 15 wird dieses Ziel weiter konkretisiert.
Gerhard de Haan und Dorothee Harenberg postulierten bereits 1999 als übergeordnetes Lernziel der BNE die „Gestaltungskompetenz für nachhaltige Entwicklung ... Mit Gestaltungskompetenz wird das nach vorne weisende Vermögen bezeichnet, die Zukunft von Sozietäten, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können."7
Gestaltungskompetenzen im Überblick1. Weltoffen und neue Perspektiven integrierend Wissen aufbauen |
>>>Mehr zur BNE in Schulen und zur Gestaltungkompetenz
Viele zentrale Themen des Nachhaltigkeitsdiskurses eignen sich für die BNE. Dazu gehören z.B. der Klimaschutz, Energieeffizienz und erneuerbare Energien, Konsum und Lebensstile, Mobilität und Verkehr, Armut und Hunger sowie Entwicklungszusammenarbeit und fairer Handel.
Stolperstein „Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen. Er ist hinsichtlich der Eingriffstiefe vergleichbar mit den beiden fundamentalen Transformationen der Weltgeschichte: der Neolithischen Revolution, also der Erfindung und Verbreitung von Ackerbau und Viehzucht, sowie der Industriellen Revolution...” (WBGU)4 |
Im Rahmen der BNE kommt es allerdings auch darauf an, wie diese Themen vermittelt werden. So wird im Rahmen der BNE versucht, ökologische Themenfelder mit sozialen und wirtschaftlichen Aspekten zu verknüpfen. Aspekte der Geschlechtergerechtigkeit sowie interkulturelle und generationenübergreifende Perspektiven werden berücksichtigt. Lokale oder globale Nachhaltigkeitsdefizite werden aufgezeigt und entsprechende Lösungswege entwickelt.8
>>>Themenbeispiele aus Düsseldorfer Schulen
BNE basiert auf einem Bildungsverständnis, nach dem Wissen von Lehrenden, Lernenden und ggf. weiteren Beteiligten gemeinsam geschaffen („konstruiert“) wird und nach dem die Lernenden Kompetenzen aktiv erwerben. Sie setzt daher Methoden ein, die partizipatives, konstruktives, forschendes, reflexives, diskursives Lernen unterstützen.
In Schuluntersuchungen, Audits und Umfragen können Lernende interdisziplinär Erkenntnisse gewinnen und dabei neue Perspektiven integrieren. In Zukunftswerkstätten können sie ihre Interessen, ihr Wissen und ihr Engagement in die Gestaltung ihres Lebensumfeldes – z.B. der Schule – einbringen.
Wenn ein größerer politischer Bezugsrahmen gewählt wird – so etwa die Bundes- oder die internationale Politik – dann können Lernende in Plan- oder Rollenspielen Zielkonflikte nachempfinden und Teilhabe an kollektiven Entscheidungsprozessen trainieren. In Simulationen können sie aktiv experimentieren und vorausschauend potenziell künftige Entwicklungen analysieren und beurteilen.
Dass der Kompetenzerwerb nicht von den Themen und Methoden gelöst werden kann, ist übrigens keine Erfindung der BNE. Auch z.B. die Bildungsstandards der KMK für Mathematik und die Naturwissenschaften fordern lebensnahe Erwerbskontexte für die zu vermittelnden Kompetenzen.
>>>Mehr zu Lernarrangements und Methoden der BNE
BNE - als ein ganzheitliches Bildungskonzept - ist als Antwort des Bildungssystems auf die Konferenz von Rio (1992) und die dort beschlossene Agenda 21 entstanden. Mit den BLK-Modellprogrammen "21" und "Transfer 21" (1999-2008, in Deutschland) und der UN-Dekade (2005-2014, weltweit) wurden die Grundlagen der BNE entwickelt und im Bildungssystem implementiert. - Damit ist die Aufgabe aber noch lange nicht "erledigt".
Daher haben die Vereinten Nationen für die Jahre 2015-2019 ein Weltaktionsprogramm BNE ausgerufen, um die bereits begonnenen Arbeiten fortzusetzen und die Ergebnisse dauerhaft zu sichern. "Das fünfjährige Programm ... zielt darauf ab, langfristig eine systemische Veränderung des Bildungssystems zu bewirken und Bildung für nachhaltige Entwicklung vom Projekt in die Struktur zu bringen. Es ... verfolgt eine doppelte Strategie: Einerseits soll nachhaltige Entwicklung in die Bildung integriert werden und andererseits Bildung in die nachhaltige Entwicklung: Es soll eine Neuorientierung von Bildung und Lernen stattfinden und zugleich eine Stärkung der Rolle von Bildung erfolgen."10
In der Incheon-Erklärung 14 wird Bildung weiterhin als eine grundlegende Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung gewürdigt, u.a. mit folgenden Aussagen:
>>>Mehr zu den Perspektiven der BNE
Ziele der BNE
Inhalte der BNE
Methoden der BNE
Mittel für die BNE
BNE ist ein durch viele Beschlüsse – von der UN über Einzelstaaten bis zu Landesregierungen in Deutschland (hier parteiübergreifend) – legitimiertes Konzept. BNE ist ein offener und entwicklungsfähiger Rahmen, in dem sich zukunftsfähige, kompetenzorientierte Bildung realisieren lässt. BNE bietet Antworten auf die Frage, was Schülerinnen und Schüler heute lernen und können sollten. BNE ist realisierbar, von der Grundschule bis zum Berufskolleg, wie viele Beispiele zeigen. BNE motiviert Ihre SchülerInnen. Lassen Sie sich inspirieren, BNE-Projekte durchzuführen!