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Unesco-Dekade

Nachhaltige Entwicklung - Zwischenbilanz

Gliederung dieser Seite

Nach der Jahrtausendwende wurde mehrfach und auf verschiedenen Ebenen Zwischenbilanz zur nachhaltigen Entwicklung gezogen. Dazu gehören:

Darauf aufbauend, wird nachfolgend eine Zwischenbilanz gezogen, diese kann allerdings nur Schlaglichter werfen.

Verankerung einer nachhaltigen Entwicklung

Tendenziell als positiv kann die Verankerung einer nachhaltigen Entwicklung eingeschätzt werden. Das betrifft verschiedene Aspekte.

„Rio war ein Wendepunkt. Vorher wurden Umweltfragen belächelt, danach wurden sie ernst genommen.“ (Heinrich-Böll-Stiftung 2002, S. 10) Viele Staaten in allen Teilen der Welt begannen erst in Folge der Rio-Konferenz damit, Umweltpolitik als Regierungsaufgabe anzusehen und z.B. Umweltaktionspläne aufzustellen oder Umweltgesetze zu erlassen. Nationale Nachhaltigkeitsstrategien wurden verabschiedet. Nach Murswiek (2002, S. 1) gibt es in der EU und in Deutschland kaum noch ein Regierungs- oder Parteiprogramm, das nicht verkündet, der Nachhaltigkeit dienen zu wollen. Auf internationaler Ebene wurde mit Konventionen wie dem Klimarahmenabkommen oder der Konvention über biologische Vielfalt das Völkerrecht erweitert. Auch auf dieser Ebene wurden neue Strukturen geschaffen, so z.B. die CSD.

Viele nichtstaatliche Akteure haben den Geist von Rio aufgegriffen, so die bestehenden oder neu gegründeten Bürgerbewegungen, aber auch Kommunen oder Unternehmen. Sie konnten sich auf Teil 4 der Agenda 21 berufen und in ihrem Verantwortungsbereich viele kleine Schritte im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung umsetzen (Heinrich-Böll-Stiftung 2002, S. 11).

Hinsichtlich der Operationalisierung des Nachhaltigkeitsleitbildes gab es Fortschritte. Auf den verschiedenen politischen Ebenen – von der globalen bis zur lokalen – wurden Ziele und Indikatoren bestimmt, Managementregeln und Nachhaltigkeitsstrategien aufgestellt. Das Wissen um die „Leitplanken“, innerhalb derer eine zukunftsfähige Entwicklung möglich ist, wurde erweitert.

Allerdings ist nachhaltige Entwicklung als Suchprozess noch immer auf einen relativ geschlossenen Kreis aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft sowie NGO´s beschränkt. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist großen Teilen der Bevölkerung nicht bekannt, allerdings stoßen zentrale Inhalte des Begriffes – wie die Gerechtigkeit oder die Maxime, nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen als nachwachsen – auf hohe Zustimmung (Kuckartz 2000, Bundesministerium für Bildung und Forschung 2002, S. 10, vgl. auch Wippermann et. al 2009).

Gerechtigkeit

„Der tiefe Graben, der die Menschheit in Arm und Reich spaltet, und die ständig wachsende Kluft zwischen den entwickelten Ländern und den Entwicklungsländern stellen eine große Bedrohung für die weltweite Prosperität, Sicherheit und Stabilität dar... Die Schäden an der Umwelt nehmen weltweit zu. Der Verlust der biologischen Vielfalt hält an, die Fischbestände werden weiter erschöpft, Wüsten verschlingen immer mehr fruchtbares Land, die nachteiligen Auswirkungen der Klimaänderung sind bereits augenfällig, Naturkatastrophen werden immer häufiger und verheerender, die Krisenanfälligkeit der Entwicklungsländer steigt, und durch die Verschmutzung von Luft, Wasser und Meeren wird Millionen von Menschen nach wie vor ein menschenwürdiges Leben versagt... Mit der Globalisierung haben diese Probleme eine neue Dimension gewonnen... Wir laufen Gefahr, diese weltweiten Ungleichheiten festzuschreiben...“ (Vereinte Nationen 2002, S. 2-3).

Die reichsten 25% der Weltbevölkerung erzielen – in Kaufkraftparitäten – etwa 75% des weltweiten Einkommens (Brot für die Welt/eed/BUND 2010, S. 79, nach Daten von Milanovic 2005). Etwa 2,7 Milliarden Menschen leben von weniger als 2,00 US$ (Kaufkraftparität) pro Tag, 1,1 Milliarden von ihnen müssen sogar mit weniger als 1,00 US$ täglich auskommen. Der Prozentsatz extrem armer Menschen hat seit ca. 1980 abgenommen, das ist vor allem der Entwicklung in China zu verdanken. Aufgrund des Bevölkerungswachstums steigt die absolute Zahl der extrem armen Menschen aber. (Brot für die Welt/eed/BUND 2010, S. 82)

Die 500 Mio. wohlhabenden Menschen (ca. 7% der Weltbevölkerung) verursachen ca. 50% aller anthoropogenen CO2-Emissionen; die 3 Milliarden Armen hingegen nur ca. 6% (Assadourian 2010, S. 37 und Pacala 2007). Würden alle Menschen so leben und konsumieren wie die US-Amerikaner – d.h. Pro-Kopf-Jahreseinkommen von gut 45.000 US$, ökologischer Fußabdruck von 9,4 ha – dann könnte die Erde nur ca. 1,4 Milliarden Menschen verkraften (wir Europäer verbrauchen etwas weniger Ressourcen). Selbst bei einem im heutigen globalen Maßstab mittleren Lebensniveau – d.h. Pro-Kopf-Jahreseinkommen von gut 5.000 US$, ökologischer Fußabdruck von 2,2 ha – wäre die Tragfähigkeit der Erde mit ca. 6,2 Milliarden Menschen ausgeschöpft. (Assadourian 2010, S. 38) Zu ähnlichen Aussagen kommen Brot für die Welt/eed/BUND (2010, S. 72ff). Somit „läuft bei einem begrenzten Umweltraum die ungleiche Aneignung der Naturressourcen auf einen Entzug von Überlebensmitteln für arme Länder hinaus.“ (ebd., S. 77) Selbst wenn man die Tauglichkeit von Umweltraum und ökologischem Fußabdruck als Denkmodellen kritisch sieht, ist diese Schlussfolgerung damit nicht hinfällig.

Die anspruchsvollen Programme der Agenda 21 wurden nicht in dem Maße finanziert wie geplant. Das UNCED-Sekretariat hatte den Finanzbedarf für die Umsetzung der Agenda 21 in den armen Ländern auf ca. 600 Milliarden US$ jährlich geschätzt (demgegenüber wurden 2006 weltweit 1.204 Milliarden US$ für Rüstung ausgegeben, SIPRI 2007). Davon sollten 125 Milliarden US$ aus der regulären Entwicklungshilfe fließen, für welche die Industrieländer 0,7% ihres Bruttosozialproduktes zur Verfügung stellen wollten. In der Praxis haben die Industrieländer jedoch zwischen 1992 und 2000 ihre Entwicklungshilfe von 69 Milliarden US$ auf 53 Milliarden US$ reduziert. (Heinrich-Böll-Stiftung 2002, S. 12)

Dabei sind Arme vielleicht eher „verhinderte Akteure und nicht zu kurz gekommene Versorgungsempfänger“ (Brot für die Welt/eed/BUND 2010, S. 198). In seinem aktuellen Bericht „Hunger im Überfluss“ zeigt das Worldwatch Institute (2011) anhand mehrerer Beispiele, wie Bäuerinnen und Bauern (überwiegend) in Afrika durch verbesserte landwirtschaftliche Praktiken die Bodenfruchtbarkeit fördern, die Erträge steigern und dadurch den Hunger überwinden können. Ein anderes Beispiel ist der faire Handel. In Deutschland wurden 2008 Fairtrade-Waren im Wert von rund 213 Millionen Euro verkauft – das sind 50% mehr als 2007 (Fairtrade Deutschland 2009). Im Jahr 2009 lag der Umsatz bereits bei 264 Millionen Euro (erneutes Wachstum um 26%), weltweit wird der Umsatz der Branche auf 3,4 Milliarden Euro geschätzt, auch hier mit steigender Tendenz. Damit ist der faire Handel noch immer ein Nischenmarkt, aber immerhin „profitierten“ davon bereits „1,2 Millionen Kleinbauern und Plantagenarbeiter in 60 Entwicklungsländern“ (Fairtrade Deutschland 2010).

VENRO (2000, S. 7) fordert konsequenter Weise eine „Abkehr von einem paternalistischen Entwicklungshilfedenken“ und stattdessen eine Entwicklungszusammenarbeit, die sich als globale Strukturpolitik versteht.

Umwelt

Mit Rückblick auf die von der Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des 13. Deutschen Bundestages aufgestellten Managementregeln (vgl. Nachhaltige Entwicklung in Deutschland) können folgende Einschätzungen getroffen werden

Erhalt der Regenerationsfähigkeit bei der Nutzung erneuerbarer Naturgüter: Der WWF schätzt, dass heute pro Jahr weltweit etwa 30.000 Tier- bzw. Pflanzenarten allein im tropischen Regenwald aussterben, das entspricht 68 Arten pro Tag oder 3 Arten pro Stunde. In den nächsten 10 Jahren werden wahrscheinlich 2,5% aller heute bekannten Tier- und Pflanzenarten ausgestorben sein (WWF/TRAFFIC Deutschland 2001). Wenn man das genetische Potenzial der Tier- und Pflanzenarten als erneuerbare Ressource ansieht, dann ist die Ausrottung von Arten ein gravierendes Beispiel für Missmanagement. Noch drastischer muss das Urteil ausfallen, wenn es aufgrund ethischer Positionen gefällt wird, die der Natur – z.B. den Arten oder den einzelnen Individuen – einen Eigenwert bzw. Eigenrechte zuweisen.

Bewirtschaftung nicht-erneuerbarer Naturgüter: Der weltweite Energieverbrauch ist zwischen 1950 und 2000 um ca. 3,5% jährlich gestiegen (Meadows/Randers/Meadows 2007, S. 86). Es ist davon auszugehen, dass wir beim Erdöl im ersten Viertel des neuen Jahrtausends das Fördermaximum erreichen, d.h. danach lässt sich die Förderung nicht mehr steigern sondern wird zurückgehen (Leggett 2006). Die Vorräte an Gas und vor allem an Kohle reichen noch länger; allerdings sind dem vertretbaren Verbrauch u.a. wegen der Freisetzung von Kohlendioxid enge Grenzen gesetzt. – Die Abkopplung des bundesdeutschen Energieverbrauchs vom Wirtschaftswachstum durch eine (langsame) Effizienzsteigerung nach der Ölkrise 1973 und die weltweit zunehmende Nutzung regenerativer Energieträger weisen angesichts dieser Probleme tendenziell in die richtige Richtung.

Die Nutzung der Ressource Boden ist ein Negativbeispiel. Boden kann neu gebildet werden, allerdings in so langen Zeiträumen, so dass er für die Menschen als nicht erneuerbare Ressource gilt. Boden ist zudem in seiner Komplexität und in seinen vielfältigen Funktionen (z.B. Lebensraum für Bodenlebewesen, Substrat für Pflanzen, Wasserfilter, Fläche für Aktivitäten des Menschen etc.) nicht substituierbar – bestenfalls sind Substitute für Einzelfunktionen vorstellbar. In den vergangenen 1000 Jahren haben die Menschen weltweit ca. 2 Milliarden produktives Ackerland in Ödland verwandelt, das ist mehr als die heute genutzte Ackerfläche. Zudem sind 38% der heute genutzten Ackerflächen degradiert (Meadows/Randers/Meadows 2007, S. 61). Wie das Statistische Bundesamt (2010) bilanziert, werden in Deutschland jeden Tag mehr als 100 ha Boden für Siedlungs- und Verkehrsfläche verbraucht und somit ihren natürlichen Funktionen entzogen. Hinzu kommen Bodenverluste durch Erosion oder andere Formen der Degradation.

Freisetzung von Stoffen oder Energie: Die Emissionen an Kohlendioxid, Methan und anderen Treibhausgasen wachsen exponentiell an. Parallel dazu ist alleine in den 100 Jahren von 1906 bis 2005 die globale bodennahe Mitteltemperatur um 0,74°C angestiegen (Umweltbundesamt 2007). Inzwischen ist weitgehend unstrittig, dass die globale Durchschnittstemperatur weiter ansteigen wird. Als kritische Marke, oberhalb derer mit einem abrupten, beschleunigten und unkontrollierbaren Klimawandel zu rechnen ist, gilt ein Temperaturanstieg um 2°C gegenüber den Werten vor Beginn der Industrialisierung (Leggett 2006, S. 111-112, Umweltbundesamt 2007).

Mit dem Kyoto-Protokoll sollte weltweit der Ausstoß an Treibhausgasen begrenzt werden. Die Bundesrepublik hat ihre darin eingegangenen Verpflichtungen erfüllt (Statistisches Bundesamt 2010, vgl. Nachhaltige Entwicklung in Deutschland). Das sollte aber nur als ein Teilerfolg angesehen werden, äußerst kritisch ist, dass die Staaten dieser Welt bislang kein Folgeabkommen für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll vereinbaren konnten.

Zeitmaß anthropogener Einträge bzw. Eingriffe in die Umwelt: Die natürlichen Systeme der Erde können neue Tier- und Pflanzenarten hervorbringen, Boden neu bilden oder Kohlendioxid absorbieren. Die oben beschriebenen Eingriffe des Menschen in die Umwelt sind deswegen problematisch, weil sie die Geschwindigkeit dieser natürlichen Prozesse ganz erheblich übertreffen und daher früher oder später Grenzen der Tragfähigkeit überschreiten. Zudem sind – darauf weisen Meadows/Randers/Meadows (2007, S. 1-2) – unsere Wahrnehmung und unsere Reaktion auf die Entwicklungen verzögert, d.h. die Chance, rechtzeitig und damit sachte umzusteuern, wird regelmäßig vertan (ein interessanter Aspekt für die Bildung).

Gefahren und unvertretbare Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt: Die Erzeugung radioaktiver Stoffe in der Energie- und Rüstungsindustrie bei gleichzeitigem Fehlen sicherer Entsorgungsmöglichkeiten ist ein Beispiel dafür, wie diese Managementregel permanent verletzt wird. Der deutsche Atomausstieg hätte ein Schritt einer nachhaltigen Entwicklung werden können, wenn es gelungen wäre, die Weichen so zu stellen, dass die stillzulegenden Kraftwerkskapazitäten durch Effizienzgewinne und Einsparungen kompensiert bzw. durch umweltverträgliche erneuerbare Energieträger ersetzt werden.

 

Während ich diese Seite aktualisiere (Sommer 2011), gehen Berichte vom Hunger in Ostafrika durch die Medien. Auf meinem Schreibtisch liegt der Bericht „Hunger im Überfluss“ vom Worldwatch Institute (2011), in dem auf diese neue Katastrophe bereits hingewiesen wird (S. 15). Schon vor über zehn Jahren schätzte VENRO (2000, S. 7) ein: „Noch nie hat die Menschheit über so viele technische und finanzielle Ressourcen verfügt, die genutzt werden könnten, um massenhaften Verarmungsprozessen entgegenzusteuern. Es geht weniger um das Können, als vielmehr um den politischen Willen, um die Durchsetzung von Interessen, um das Entwickeln von Ideen, Energien, Strategien und den Einsatz von Ressourcen.“ Das betrifft die anderen Aspekte der Nachhaltigkeit gleichermaßen, und das führt unmittelbar zu der Frage, was Bildung in diesem Kontext will und kann.

Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand 2006-2014 in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock; dem heutigen Fernstudiengang Bildung und Nachhaltigkeit.