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Unesco-Dekade

Merkmale der Nachhaltigkeitsidee

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Formal betrachtet, ist Entwicklung nicht mehr als der „Prozess der zeitlichen Änderung eines Zustandes“ (Conrad 2000, S.5) – womit noch nichts über seine Qualität bzw. Orientierung ausgesagt ist. Eine nachhaltige Entwicklung wird somit im Sinne von „Entwicklung zur Nachhaltigkeit“ verstanden. Nach der bekanntesten Definition ist nachhaltige Entwicklung „eine Entwicklung, in der die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt werden, ohne dabei künftigen Generationen die Möglichkeit zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse zu nehmen“ (Vereinte Nationen 1990, S. 26). Dabei müssen insbesondere die Grundbedürfnisse aller Menschen sowie die Grenzen der Tragfähigkeit der globalen Ökosysteme berücksichtigt werden.

Nachhaltigkeit ist der mit nachhaltiger Entwicklung angestrebte Zustand. Da dieser Zustand bei weitem nicht erreicht ist und da er auch analytisch nicht präzise beschrieben ist, kann Nachhaltigkeit gegenwärtig (nur) als Idee bzw. Leitbild bezeichnet werden.

Zur Frage, was Nachhaltigkeit bzw. eine nachhaltige Entwicklung konkret bedeuten, welche Konzepte hilfreich oder welche Maßnahmen erforderlich sind, gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Meinungen, die im Wettstreit miteinander stehen. Dies kann mit dem Begriff Nachhaltigkeitsdiskurs gefasst werden.

Die Agenda 21 schließlich ist ein politisches Dokument, das von der internationalen Staatengemeinschaft 1992 auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro verabschiedet wurde.

Hier sollen wesentliche Aspekte der Nachhaltigkeitsidee systematisiert und auch kritisch hinterfragt werden (die LeserInnen mögen diesen akademische Diskurs immer auch im Spiegel der Zwischenbilanz sehen). In der Struktur sowie in einigen wesentlichen Argumentationslinien orientiere ich mich dabei an Fischer (1997, S. 27ff und 2000). Er bezeichnet die hier angesprochenen Merkmale als „Kristallisationspunkte, die gemeinsam zur Nachhaltigkeitsidee verschmelzen“ (Fischer 2000).

Inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit

Die Nachhaltigkeits-Definition des Brundtlandberichtes zielt, wie auch die Agenda 21, unmittelbar auf Gerechtigkeit zwischen heutigen und künftigen Generationen (intergenerationelle Gerechtigkeit). In beiden Dokumenten wird jedoch auf einer zweiten Ebene auch Gerechtigkeit zwischen den heute lebenden Menschen (intragenerationelle Gerechtigkeit) eingefordert, und zwar sowohl in der globalen Dimension (Norden – Süden, entwickelte Länder – Entwicklungsländer) als auch innerhalb jeder Gesellschaft (dort z.B. zwischen Arm und Reich sowie zwischen den Geschlechtern).

Gerechtigkeit ist dabei einerseits ein Ziel einer nachhaltigen Entwicklung, andererseits auch deren Voraussetzung, denn die ungerechte Verteilung des Zugangs zu knappen Ressourcen (z.B. Boden, Trinkwasser) ist auch die Ursache von nicht nachhaltigen Entwicklungen: von gesellschaftlichen und sozialen Konflikten oder einer verschärften Ausbeutung der Umwelt (Grunwald/Kopfmüller 2006, S. 30).

So plausibel und unterstützenswert die Forderung nach Gerechtigkeit auch ist, so schwierig ist die für politisches Handeln notwendige Operationalisierung. Was kann überhaupt unter Gerechtigkeit verstanden werden, welcher der oben genannten Ebenen bzw. Dimensionen ist welches Gewicht beizumessen und wie können geeignete Maßstäbe entwickelt werden?

Fischer (1997, S. 39ff) weist darauf hin, dass in der Agenda 21 und im Nachhaltigkeitsdiskurs überwiegend Verteilungsgerechtigkeit gefordert werde. Das sehen auch Ott/Döring (2008, S.59ff) so, sie stellen hierfür einen anspruchsvollen absoluten Standard in Verbindung mit einem komparativen Standard vor (vgl. weiter unten den Exkurs: Das Konzept der starken Nachhaltigkeit).

In der Frage nach der Bezugsebene verweist Fischer (1997, S. 39ff) darauf, dass in den letzten 300 Jahren nahezu jede Generation insgesamt bessere Lebensbedingungen angetroffen hat bzw. sich schaffen konnte als die Generation ihrer Eltern. Dazu gehören nicht nur der Lebensstandard, sondern auch der Stand von Wissenschaft und Technik und damit die Möglichkeiten, die begrenzten Ressourcen zu nutzen. Er plädiert daher für einen Gegenwartsbezug, d.h. die Konzentration auf die intragenerationelle Gerechtigkeit. BUND/MISEREOR (1995, S.7) hingegen halten beide Bezugsebenen für gleichermaßen relevant, sie konzentrieren sich dabei auf die globale Dimension, also die weltweit gerechte Verteilung der verfügbaren Ressourcen (des Umweltraumes). Die Bundesregierung (2002) spricht in ihrer Nachhaltigkeitsstrategie alle oben genannten Bezugsebenen an. Als Beitrag zur Generationengerechtigkeit versteht sie u.a. die Ressourcenschonung, den Schutz der Artenvielfalt, den Abbau der Staatsverschuldung und die Bildung. Mit Blick auf die heutige Generation sollen die Lebensqualität gesteigert (u.a. durch wirtschaftlichen Wohlstand und Gesundheit) und der soziale Zusammenhalt in der Gesellschaft gefördert werden (u.a. mit Aspekten wie Beschäftigung, Gleichberechtigung und Integration ausländischer Mitbürger). Zudem will die Bundesregierung auch global Verantwortung übernehmen, z.B. für die Bekämpfung der Armut oder den weltweiten Umweltschutz.

Die Heinrich-Böll-Stiftung (2002, S. 20) verweist dezidiert darauf, dass die in der Gerechtigkeitsfrage weithin gebräuchliche Unterscheidung zwischen „Nord“ und „Süd“ in die Irre führe: Die entscheidende Trennungslinie in dieser Welt verlaufe hingegen quer zu jeder Gesellschaft zwischen den globalen Reichen und den lokalen Armen. An dieser Stelle setzt auch die fundamentale Herrschaftskritik an, die z.B. Spehr (1996) und Eblinghaus/Stickler (1998) am Diskurs um die Nachhaltigkeit üben. „Die Ökokrise ist“ demnach „Ausdruck einer Herrschaftskrise“, verursacht durch „herrschaftsförmige Strukturen... wie etwa den Kolonialismus, den Staat, das Kapitalverhältnis, das Patriarchat, große Organisationen etc.“ (Adler/Schachtschneider 2010, S. 23). Das Nachhaltigkeitsleitbild greift demnach zu kurz, bzw. es ist sogar kontraproduktiv, weil es die Machtfrage verschleiert. Nur die „Abwicklung des Nordens“, also die „Zurückdrängung des herrschaftsförmigen Zugriffs auf Natur und Arbeit“ (ebd., S.33) und Selbstbestimmung der Menschen bieten die Grundlagen für ein tragfähiges Verhältnis von Mensch und Natur.

Die Frage, welche Größen geeignet sind um Gerechtigkeit zu bemessen, kann hier nur angerissen werden. BUND/MISEREOR (1996) und Brot für die Welt/eed/BUND (2008, S. 116ff) nutzen das Modell des „Umweltraums“. Ott/Döring (2008, S.176) kritisieren dieses, für sie geht es darum, das „Naturkapital“ nachhaltig und gerecht zu nutzen (vgl. Exkurs: Die Theorie der starken Nachhaltigkeit).

Ethisch-moralische Fundierung

Das Postulat der Gerechtigkeit verweist bereits auf ein zweites Merkmal der Nachhaltigkeitsidee: ihre ethisch-moralische Fundierung. Gerechtigkeit oder die Verantwortung für die Umwelt oder für andere Menschen lassen sich nicht naturwissenschaftlich und auch kaum ökonomisch begründen, sondern nur auf der Basis von Werte-Entscheidungen. Dabei sind die ethischen Verpflichtungen auf der abstrakten Ebene (z.B. Verantwortung gegenüber künftigen Generationen) noch einigermaßen konsensfähig – komplizierter wird es im Detail, so etwa wenn diese Verpflichtungen begründet oder konkretisiert werden sollen. Das soll nachfolgend in einer sehr starken Verkürzung skizziert werden. Grundsätzlich können nämlich zwei umweltethische Grundpositionen unterschieden werden:

Es gibt viele Stimmen, die das Leitbild der Nachhaltigkeit auf eine anthopozentrischen Ethik zurückführen; der behutsame Umgang mit der Natur entspringt demnach einem wohlverstandenen Eigeninteresse der Menschen, vgl. z.B. Conrad (2000) und Grunwald/Kopfmüller (2006, S. 21). Ott/Döring (2008, S. 59) sehen den Anthropozentrismus hingegen nicht als konstitutiv für eine Theorie der Nachhaltigkeit an – ihnen stellt sich auch die „Frage nach möglichen moralischen Verpflichtungen gegenüber Naturwesen, die dann auch innerhalb sicherer ökologischer Grenzen zu beachten wären (bspw. Walfang).“

Hier soll noch eine andere ethische Frage zumindest angerissen werden: Wenn wir künftigen Generationen die gleichen Chancen einräumen wollen, wie wir sie haben, dann verdienen unsere Hinterlassenschaften eine nähere Betrachtung. Der SRU (2002, S. 59) unterscheidet folgende Formen von vererbbarem „Kapital“:

  1. Sachkapital (z.B. Infrastruktur)
  2. Naturkapital (z.B. Grundwasser, Tier- und Pflanzenarten)
  3. kultiviertes Naturkapital (z.B. Vieherden, Lachsfarmen, Forste)
  4. Sozialkapital (moralisches Orientierungswissen, Institutionen)
  5. Humankapital (Bildung, Fähigkeiten) und
  6. gespeichertes und abrufbares Wissenskapital (Bibliotheken, Internet).

Wie sollte dieses Kapital bewertet, bewirtschaftet und vererbt werden? Im Sinne der Gerechtigkeit sollte den nachfolgenden Generationen mindestens ein gleichwertiger Kapitalbestand vererbt werden, wie wir ihn heute nutzen. Angesichts dessen können zwei verschiedene Konzepte ausgemacht werden (vgl. bspw. Grunwald/Kopfmüller 2006, S. 37-39):

Nach dem Konzept der schwachen Nachhaltigkeit kommt es vor allem darauf an, den Gesamtbestand des Kapitals zu erhalten. Demnach ist es zulässig, Naturkapital zu verbrauchen, wenn dafür Ersatz geschaffen wird. Die Kapitalformen können damit also gegenseitig substituiert werden.

Nach dem Konzept der starken Nachhaltigkeit ist die Substitution nur sehr eingeschränkt möglich. Insbesondere Naturkapital gilt hier als nicht substituierbar. Diese Position leuchtet auch aus naturwissenschaftlicher Sicht ein, wenn man „Natur“ nicht nur eindimensional als Ressource betrachtet. Angesichts der vielfältigen Elemente in einem Ökosystem und der komplexen Wechselwirkungen zwischen ihnen ist zu bezweifeln, ob eine Vermehrung anderer Kapitalformen die Verluste ausgleichen kann, die das Aussterben von Arten, die Devastierung von Böden oder die Veränderung des Klimas bedeuten. Nach diesem Konzept sollte jede Generation nicht nur den Gesamtbestand an Kapital sichern, sondern auch die einzelnen Formen. Der SRU (2002, S. 68) spricht sich für die starke Nachhaltigkeit aus.

Exkurs: Die Theorie der starken Nachhaltigkeit

Konrad Ott, Professor für Umweltethik an der Universität Greifswald und von 2000 bis 2008 Mitglied des SRU, vertritt zusammen mit Ralf Döring die Theorie der starken Nachhaltigkeit. Ott/Döring (2008, S. 178) verstehen nachhaltige Entwicklung als eine Entwicklung hin zur Nachhaltigkeit und definieren diese konzeptionell über:

„a) den egalitären humanistischen Standard, b) den komparativen Standard der Zukunftsverantwortung, c) die CNCR und die Managementregeln, d) die drei Leitlinien sowie e) über die Anerkennung des moralischen Status für empfindungsfähige Mitgeschöpfe in Ansehung ihrer natürlichen Habitate.“

Die grundlegende Idee der Nachhaltigkeit ist demnach inter- und intragenerationelle Gerechtigkeit. Diese bezieht sich nicht auf beliebige Sachverhalte, sondern auf

  • die Chance, Bedürfnisse zu befriedigen und Fähigkeiten auszuüben,
  • Zugang „zu natürlichen und kulturellen Ressourcen“ und
  • „die Bereitstellung von Gütern i.w.S.“ (ebd., S. 45).

Es geht also letztlich um Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit („egalitärer Standard“). Es geht z.B. nicht um Gerechtigkeit im juristischen Sinne (ebd., S. 64-65). Es geht, wie Ott/Voget (2007) präzisieren, um Lebensqualität und nicht zwingend um Lebensstandard.

Wir können heute nicht präzise wissen, welche Ansprüche künftige Generationen in diesem Sinne an uns haben, und wir können ihnen nicht „Wohlfahrt, Lebensfreude oder Glück an sich“ hinterlassen, wohl aber „eine Ausstattung an Gütern und Infrastrukturen“, welche die Chance auf jene bieten (Ott/Döring 2008, S. 64).

Die Forderung, dass wir die begrenzte Tragfähigkeit der Ökosysteme respektieren müssen, ist ein essenzieller Teil dieser Idee. „Dass die Lebenden die natürlichen Lebensgrundlagen nicht plündern dürfen, ist selbst ein Grundsatz intergenerationeller Gerechtigkeit.“ (ebd., S. 57)

In der Frage, was denn der Maßstab für Gerechtigkeit sein könne, kombinieren Ott/Döring (ebd., S. 78ff) zwei unterschiedliche Standards. Einerseits sollen künftige Generationen nicht schlechter gestellt und nicht schlechter mit Gütern ausgestattet werden als die heutigen („komparativer“, vergleichender, steigernder Standard). Zudem aber sollte jeder Mensch (über das nackte Überleben – „basic needs“ – hinaus) mindestens die Chance bekommen, grundlegende menschliche Fähigkeiten auszuleben, also z.B. „bis zum Ende eines vollständigen menschlichen Lebens leben zu können... Bindungen zu Dingen und Personen zu unterhalten... in Anteilnahme für und in Beziehung zu Tieren, Pflanzen und zur Welt der Natur zu leben... das eigene Leben und nicht das von irgendjemand anderem zu leben.“ In diesem von Nussbaum (2003) entwickelten Fähigkeitenansatz sehen Ott/Döring (2008, S. 88) einen geeigneten „(anspruchsvollen) humanitären Sockel“ für den komparativen Standard, und zwar im Heute und in der Zukunft.

Zum ethischen Fundament der Nachhaltigkeit gehört schließlich eine Antwort auf die Frage, inwieweit nicht-menschliche Lebewesen und ihre Lebensansprüche mit zu bedenken sind. Ott/Döring (ebd., S. 172ff) plädieren für einen „graduellen Sentientismus“, also dafür, die höher entwickelten, empfindungsfähigen Mitgeschöpfe mit einzubeziehen. Das führt dann u.a. zu der Konsequenz, dass deren Lebensräume (Habitate) hochrangige Schutzgüter darstellen.

Im Folgenden verlassen Ott/Döring (ebd., S. 179ff) die ethische Ebene. Sie führen den Begriff des „Naturkapitals“ ein und ermöglichen so die hier notwendige ökonomische Diskussion. Sie arbeiten heraus, dass es notwendig – oder angesichts aller Ungewissheit über die Ansprüche künftiger Generationen zumindest sicherer – ist, das Naturkapital zu erhalten (CNCR, constant natural capital rule). Dabei ist es essenziell, das Naturkapital nicht als homogene Größe misszuverstehen. Unter dem Blickwinkel einer gerechten Nutzung und Vererbung muss vielmehr zwischen (lebendigen bzw. nicht lebendigen) Fonds und Vorräten unterschieden werden.

  • Es gibt lebendige Fonds (z.B. Wälder, Fische) und nicht-lebendige (wohl aber belebte) Fonds (z.B. Wasser, Boden). Diese stiften vielfältigen Nutzen (so dient uns Wasser u.a. als Lebensmittel, als Lösungsmittel, als Wärmespeicher und -überträger, als Transportmedium, zur Bewässerung, für spirituelle und religiöse Zwecke und vieles mehr). Fonds können genutzt werden und regenerieren sich, wenn sie nicht übernutzt werden.
  • Vorräte (z.B. Erdöl) werden hingegen verbraucht. Sie bilden sich in den für Menschen relevanten Zeiträumen nicht nach, so dass wir – dem Gerechtigkeitspostulat folgend – als Ausgleich für den Verbrauch funktional gleichwertige Alternativen schaffen müssen (z.B. durch Aufbau der Technologien zur Nutzung erneuerbarer Energien und nachwachsender Rohstoffe).

Ein grundlegendes Problem nicht-nachhaltiger Entwicklung ist es, Fonds als Vorräte anzusehen und sie wie solche zu verbrauchen – die Fischerei auf den Weltmeeren und die Zerstörung der Primärwälder sind dafür augenfällige Beispiele.

Sogenannte „Managementregeln“ können als Leitplanken für eine nachhaltige Nutzung des Naturkapitals dienen (Deutscher Bundestag 1998, SRU 2002). Zudem sollte bewusst in Naturkapital investiert werden, dies führen Ott/Döring (ebd., S. 261ff) u.a. am Beispiel der Fischereiwirtschaft aus.

Ebenfalls zum Instrumentarium einer nachhaltigen Entwicklung werden die „Leitlinien“ Effizienz, Suffizienz und Resilienz gezählt, mehr dazu nachfolgend unter ökonomisch-ökologische Neuorientierung.

Eine so verstandene Nachhaltigkeit muss in konkreten Handlungsfeldern umgesetzt werden, dazu gehören „Landnutzungssysteme, Naturschutz, Gewässer- und Meeresschutz, Klima- und Energiepolitik, Umweltmedien (Luft, Boden, Wasser), Mobilität“ (ebd., S. 334). Für diese Handlungsfelder lassen sich dann spezifische Bündel von Zielen aufstellen, so etwa Ziele des Klimaschutzes, diese wiederum sollen mit speziellen Konzepten umgesetzt werden.

 

Retinität (Gesamtvernetzung)

Einzelentscheidungen des Menschen (z.B. in der Politik, in der Wirtschaft, Kaufentscheidung eines Verbrauchers) sind in ein komplexes Netzwerk von Ursachen und Wirkungen eingebunden, die sowohl die menschlichen Zivilisationssysteme als auch die Ökosysteme betreffen. Der SRU (1994 S. 54-55) führt die Vokabel der Gesamtvernetzung oder Retinität (lat. rete – das Netz) ein, und sieht darin „die entscheidende umweltethische Bestimmungsgröße und damit das Kernstück einer umfassenden Umweltethik... Will der Mensch seine personale Würde im Umgang mit sich selbst und anderen wahren“ (und sich daher in seiner Ethik von der Natur abgrenzen, siehe anthropozentrische Perspektive), „so kann er der darin implizierten Verantwortung für die Natur nur gerecht werden, wenn er die ´Gesamtvernetzung´ all seiner zivilisatorischen Tätigkeiten und Erzeugnisse mit dieser ihn tragenden Natur zum Prinzip seines Handelns macht.“ In anderen Worten: Der Mensch ist einzigartig, und dieser Einzigartigkeit sowie der Gesamtvernetzung seiner Handlungen entspringt auch seine Verantwortung gegenüber der Natur. Der SRU (1994, S. 9) sieht im Sustainability-Konzept die „notwendige und konsequente Operationalisierung des Retinitätsprinzips“.

In verschiedenen Nachhaltigkeitskonzeptionen wurde auf verschiedene Weise versucht, diese Gesamtvernetzung zu strukturieren und sie damit fassbarer zu machen (Grunwald/Kopfmüller 2006, S. 37-58).

Ein-Säulen-Konzepte räumen der Ökologie den Vorrang ein. Der SRU (2002, S. 67-68) vertritt ein derartiges ökologischen Verständnis von Nachhaltigkeit und sieht die notwendige Integration des Umweltschutzes in alle Politikbereiche für zentral an (vgl. auch SRU 2002, S. 167, wo Aktivitäten der Bundesregierung zur Integration des Umweltschutzes in die Ressorts/Bereiche Energie, Landwirtschaft, Verkehr, Bau, Entwicklungszusammenarbeit, Finanzen, Forschung, Gesundheit und Sozialpolitik aufgelistet und als Erfolg bewertet werden). BUND/MISEREOR (1996) beziehen sich ausdrücklich auf das Gerechtigkeitspostulat, rücken dann aber das Konzept des Umweltraums in dem Mittelpunkt ihrer Studie, um Umweltindikatoren aufzustellen und Umweltziele festzulegen. Auch der Syndromansatz des WGBU (1996) kann als ein Versuch gewertet werden, die Gesamtvernetzung mit dem Fokus auf ökologische Nachhaltigkeit zu ordnen (mehr zum Syndromansatz: vgl. Nachhaltige Entwicklung in Deutschland).

Grunwald/Kopfmüller (2006, S. 46) führen zwei zentrale Argumente gegen Ein-Säulen-Konzepte an: So erforderten die Umsetzung des Gerechtigkeitspostulats und die Übernahme von Verantwortung es prinzipiell, alle Dimensionen gesellschaftlicher Entwicklung einzubeziehen. Ferner könne die ethische Frage, auf welche Hinterlassenschaften künftige Generationen einen Anspruch haben (zu vermeidende Risiken eingeschlossen), sich nicht alleine ökologisch beantworten lassen.

Drei-Säulen-Konzepte sind eine Antwort auf derartige Kritik. Die Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ hat ein Modell propagiert, welches Ökologisches, Ökonomisches und Soziales als gleichwertige Säulen vereint (Deutscher Bundestag 1998). In einer anderen Darstellung – als „Nachhaltigkeitsdreieck“ – hat sich diese Sichtweise als eines der bekanntesten mentalen Modelle im Nachhaltigkeitsdiskurs etabliert (vgl. Abb.).

Teilweise wird dieses Dreieck um eine vierte „Dimension“ (z.B. Kulturelles oder – bei VENRO 2005, S. 4 – um die politische Stabilität, d.h. Frieden, Menschenrechte, Demokratie und Gleichberechtigung) erweitert.

Ein gleichseitiges Dreieck, die Eckpunkte sind mit Ökologie - Ökonomie - Soziales beschriftet
Das Nachhaltigkeitsdreieck - ein brauchbares mentales Modell im Nachhaltigkeitsdiskurs?

Grunwald/Kopfmüller (2006, S. 52-53) verweisen auf Probleme dieser Modelle. Einerseits bestehe die Gefahr einer Überfrachtung des Nachhaltigkeitsleitbildes – mit der Tendenz, zu einem Ein-Säulen-Konzept zurückzukehren. Andererseits verleiteten die Drei-Säulen-Modelle dazu anzunehmen, der Nachhaltigkeitsbegriff könne isoliert auf die drei Teilbereiche angewendet werden, es gäbe also so etwas wie eine „ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit unabhängig voneinander“ (ebd., S. 53, vgl. auch Brot für die Welt/eed/BUND 2008, S. 26). Ott/Döring (2008, S. 38-39) kritisieren die Säulen als eine „Art Wunschzettel, in die jeder Akteur eintragen kann, was er für wichtig hält“ – so könnten z.B. auf lokaler Ebene auch „Betreuungszeiten im Kinderhort und der Warmbadetag für Senioren im örtlichen Hallenbad zu Zielen nachhaltiger Entwicklung“ werden, und die ökonomische Säule sei offen für jegliche Ziele einer wirtschaftlichen Entwicklung. Dieses Modell sei somit „der große „Weichspüler“ der Nachhaltigkeitsidee“.

Integrative Nachhaltigkeitskonzepte versuchen, insbesondere den zweiten Kritikpunkt zu überwinden. Sie gehen davon aus, „dass die der Nachhaltigkeitsidee zugrunde liegenden normativen Prämissen Zukunftsverantwortung und Verteilungsgerechtigkeit dimensionenübergreifend angelegt sind.“ (Grunwald/Kopfmüller 2006, S. 53) Zudem gibt es vielfältige Verflechtungen zwischen der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen Dimensionen, weshalb diese nicht isoliert betrachtet werden sollten (ebd.). Die Bundesregierung (2002) folgt offenbar derartigen Überlegungen und gliedert im Nationalen Nachhaltigkeitskonzept ihre Aktivitäten in vier „quer“ zu traditionellen politischen Ressorts zugeschnittene Themenfelder: Generationengerechtigkeit, Lebensqualität, sozialer Zusammenhalt und Internationale Verantwortung (vgl. Nachhaltige Entwicklung in Deutschland).

Ökonomisch-ökologische Neuorientierung

Eine nachhaltige Entwicklung ist nicht ohne eine ökonomisch-ökologische Neuorientierung denkbar. „Die Zukunft der Menschheit wird davon abhängen, ob es gelingt, zu einer Wirtschaftsweise zu gelangen, die sich innerhalb der Nutzungsgrenzen des Naturhaushalts bewegt und dennoch allen Menschen ein lebenswertes Dasein ermöglicht.“ (ICLEI 1998 S. 18) Fischer (2000) spricht von einem neuen Verständnis des Wirtschaftens, „das sich vom traditionellen wirtschaftlichen Fortschritts- und Wachstumsmodell loslöst.“

Eine nachhaltige Entwicklung kann u.a. als Gegenpol zur Idee der nachholenden Entwicklung verstanden werden, nach welcher Entwicklungsländer möglichst zum Wirtschaftsmodell und Wohlstandsniveau der Industrieländer aufschließen sollten (Heinrich-Böll-Stiftung 2002, Rieckmann 2010, S. 2). Brot für die Welt/eed/BUND (2008, S. 69-71) weisen darauf hin, dass bis ca. 1780 die wirtschaftlich am weitesten entwickelten Teile Chinas (das Yangtse-Delta) und Europas (England) hinsichtlich Wirtschaft und Technik auf gleichem Stand waren. Der dann folgende rasche Aufstieg Englands zur führenden Industriemacht war u.a. dadurch möglich, dass dieses sich in erheblichem Ausmaß zusätzliche biotische Ressourcen (aus den damaligen Kolonien) und Energieressourcen (die heimische Kohle) einverleiben konnte. Die Yangtse-Region, der das damals nicht möglich war, blieb dann in der Entwicklung zurück. – Angesichts von Klimawandel, Peak Oil und Rückgang der Biodiversität sowie angesichts des „Fehlens“ neuer Kolonien müssen die Bedingungen, denen England (Europa, Nordamerika) ihren Aufstieg verdanken, damit als historisch einmalig gelten. Diese Art der Entwicklung ist nicht sinnvoll auf alle andere Regionen der Welt übertragbar. (Es bleibt abzuwarten, wie sich Chinas aktuelles Engagement in Afrika langfristig auf beide Seiten auswirken wird.)

Dieses neue Verständnis findet seinen Ausdruck u.a. in den Managementregeln, wie sie unter Nachhaltige Entwicklung in Deutschland vorgestellt werden.

Zudem sollen verschiedene, einander ergänzende Strategien als Leitplanken für diese ökonomisch-ökologische Neuorientierung dienen:

Ein nachhaltiges Wirtschaften muss einerseits durch einen Wertewandel eingeleitet werden, andererseits ist eine Veränderung der politischen Rahmenbedingungen erforderlich, dazu gehören z.B. Ökosteuern oder eine Liberalisierung der Energiemärkte. Maniates (2010, S. 184) stellt dar, dass es bereits heute vielfältige praktikable Ansätze gibt, nachhaltiger zu produzieren (z.B. den „Top-Runner“-Ansatz in Japan, nach dem die gesetzlichen Standards für die Energieeffizienz von Geräten sich an den jeweils besten auf dem Markt befindlichen Geräten orientieren) und aus der Wirtschaft heraus nachhaltiges Konsumverhalten anzuregen (z.B. Neukunden werden vom Energieversorger automatisch auf Ökostrom eingestuft, wenn sie das nicht wollen, können sie zu einem anderen Stromprodukt wechseln).

Strittig ist, wie weit diese Neuorientierung gehen muss. Piechocki (2001) vertritt eine recht weitgehende Position, er kritisiert den der Marktwirtschaft in ihrer heutigen Ausprägung innewohnenden Zwang zum Wirtschaftswachstum als eine der zentralen Ursachen für die Naturzerstörung. Brot für die Welt/eed/BUND (2008, S. 28) warnen davor, dass das Wirtschaftswachstum inzwischen „mehr Nachteile als Vorteile produziert“. Fünf Denkansätze, die derartige Kritik aufnehmen und einen fundamentalen gesellschaftlich-ökonomischen Systemwechsel anstreben, stellen Adler/Schachtschneider 2010 (Teil A) vor."

Der zukunftsorientierte und utopische Charakter

Nachhaltigkeit ist zukunftsorientiert und zugleich utopisch. Das Leitbild der Nachhaltigkeit ist eine Utopie, aber nicht im Sinn „illusorischer Sorglosigkeit“ sondern „als Ausdruck eines Aufbruchs in eine offensiv auf Gewinnung neuer Perspektiven ausgerichteten Zukunft“ (Fischer 2000) – gerade auch angesichts der Einengung der Zukunftsoptionen durch ökonomische, ökologische und soziale Probleme.

In dem seit der Aufklärung vorherrschenden Fortschrittsdenken der Moderne war (ist) alles (oder fast alles) machbar, Zukunft ist demnach in einem unendlichen Spektrum von Möglichkeiten gestaltbar. Andererseits war die Umweltdebatte (vgl. Auf dem Weg zur Nachhaltigkeitsidee) eher von Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet und von einer Position, nach der die Zukunft angesichts von Ressourcenknappheit und irreversibler Umweltbelastung kaum noch Gestaltungsspielräume offen lässt. Zwischen diesen beiden Extrempositionen geht es im Nachhaltigkeitsdiskurs darum, innerhalb bestimmter Grenzen (Leitplanken) Gestaltungsspielräume zu eröffnen bzw. zu erhalten, damit auch künftige Generationen über ihr Leben selbst bestimmen können. (Fischer 2000)

Dieses Merkmal ist ein Grund dafür, warum Bildung für nachhaltige Entwicklung nicht alleine mit der traditionellen Vermittlung vorgegebener Wissensbestände auskommt, sondern vielmehr Fähigkeiten und Kompetenzen vermitteln will, sich in einer – in bestimmten Grenzen – offenen Zukunft zurechtzufinden.

Der globale, universale Ansatz

Die Migration von Menschen, und noch mehr von Kapital, Waren, Rohstoffen oder Schadstoffen nimmt globale Ausmaße an. Rieckmann (2010, S. 1, mit Rückgriff auf WGBU 1996) versteht unter dem Globalen Wandel das „komplexe Zusammenspiel von globalen Umweltveränderungen, ökonomischer Globalisierung, kulturellem Wandel und einem wachsenden Nord-Süd-Gefälle“. Das Globale Lernen sucht darauf pädagogische Antworten.

Die Agenda 21 will die globalen Probleme des beginnenden 21. Jahrhunderts lösen, Nachhaltigkeit ist eine globale Herausforderung, was lokale und regionale Aktivitäten wie die Lokale Agenda 21 oder kommunalen Klimaschutz ausdrücklich einschließt.

Grunwald/Kopfmüller (2006, S. 36) fordern, Attribute wie nachhaltig ohne weitere Erläuterung nur für die globale Entwicklung zu verwenden. Auf regionaler oder z.B. auch lokaler Ebene können lediglich Beiträge zu dieser globalen Nachhaltigkeit geleistet werden; eine Region kann jedoch für sich nicht nachhaltig sein.

Fischer (1997, S. 46-51) weist hingegen auf Probleme dieses globalen Anspruchs hin. Er sieht die Gefahr, dass wir nur noch eine „Astronautenperspektive“ einnehmen, dass Diagramme statt Akteuren in den Mittelpunkt rücken, dass wir uns mit Kalkulationen aber nicht mit Ethik befassen und Stabilität statt Schönheit suchen.

Hier ist die Bildung herausgefordert, sinnvolle lokale Zugänge zu den globalen Aspekten der Nachhaltigkeit zu schaffen.

Kommunikative, prozessorientierte Ausrichtung

Nachhaltigkeit ist ein normatives Leitbild, das auf Werteurteilen basiert. Dem klassischen Ansatz politischer Steuerung würde es entsprechen, das Leitbild so zu operationalisieren und umzusetzen, wie unter Operationalisierung beschrieben. Ein solches Vorgehen entspricht einem substanziellen Nachhaltigkeitsverständnis. „Angesichts der Komplexität des Nachhaltigkeitsbegriffs und der Vielfalt ökologischer und sozioökonomischer Systeme bestehen jedoch Zweifel an einer so weitgehenden Konkretisierbarkeit.“ (Grunwald/Kopfmüller 2006, S. 40) Einen konzeptionellen Ausweg bietet hier, die Nachhaltigkeit als regulative Idee im Sinne Kants zu verstehen. Damit haben Definitionen der Nachhaltigkeit nur einen vorläufigen und hypothetischen Charakter; Nachhaltigkeit wird zu einem „orientierenden Rahmen für einen langfristigen Such-, Erfahrungs- und Lernprozess.“ (ebd., vgl. auch Deutscher Bundestag 1998, S. 72 und Michelsen 2005)

Bei einem prozeduralen Nachhaltigkeitsverständnis steht hingegen von Anfang an der Weg im Vordergrund. Gefährdungseinschätzungen, Handlungsbedarfe und Maßnahmen würden demnach nicht in langfristiger Perspektive von oben vorgegeben, sondern „beim Laufen“ zwischen den Akteuren ausgehandelt bzw. selbstorganisiert umgesetzt (Grunwald/Kopfmüller 2006, S. 40-41).

Weitgehend durchgesetzt hat sich das substanzielle Verständnis mit Nachhaltigkeit als regulativer Idee. Wenn die Agenda 21 der Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen einen Hauptabschnitt (Teil III) widmet, geht es daher nicht nur darum, diesen Gruppen Aufgaben bei der Umsetzung einer von oben vorgegebenen Politik zuzuweisen; vielmehr wird eine umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung gefordert und die Partizipation als grundlegendes Element der nachhaltigen Entwicklung angesehen (Bundesumweltministerium 1992, S. 217, vgl. auch Rieckmann 2010 S. 5-6).

 

Der Arbeitsbereich "Agenda 21 und Bildung für nachhaltige Entwicklung" auf umweltschulen.de entstand 2006-2014 in Kooperation mit dem Fernstudiengang Umwelt&Bildung der Universität Rostock; dem heutigen Fernstudiengang Bildung und Nachhaltigkeit.